Sven Wiesner, Geschäftsführer bei Havas Beebop
16. März 2017Als einer der beiden Geschäftsführer der zwanzig Mann starken Digital- und Ambient-Agentur Havas Beebop, liebt es Sven Wiesner noch immer knietief in den Projekten zu stecken. Er erklärt uns, was Ambient bedeutet und wie die Agentur eine Crossgolfing-Kampagne im Hamburger Hafen umgesetzt hat. Außerdem erzählt er uns, wohin er sich vom Agenturzirkus zurückzieht.
Vita
Sven Wiesner beschäftigt sich schon in seiner Jugend viel mit Computern und dem Internet. Nach acht Jahren bei der Bundeswehr absolviert er eine Ausbildung als Mediengestalter. Er zieht nach Hamburg und taucht dort in eine lebendige Web-2.0-Szene ein. Nach einer Phase als selbstständiger Berater, gründet er zusammen mit Pedro Anacker die Social Media Unit beesocial GmbH, die später in die beebop media ag aufgeht. Heute ist er Geschäftsführer der Agentur Havas Beebop.
Tools
- socialBench, Facelift
- Google Suite
- Toggl, Brandocean
- Slack, Facebook-Gruppe
Als wir durch das Schanzenviertel zum Office von Havas Beebop gehen, haben wir noch keine Ahnung von Ambient Advertising. Erst später wird uns klar, dass es fast keine bessere Lage für so eine Agentur geben kann. Wir betreten einen Innenhof, in dem die Agentur ihre Räume hat, und entdecken an einer Hauswand das Mural Fischers Netz. „Das haben wir einfach nur für uns gemacht“, erklärt uns Sven Wiesner. Der „Außenminister“ von Havas Beebop führt uns zunächst in die Agentur, die aus einem einzigen großen Raum besteht. Für das Interview gehen wir gegenüber in ein vor kurzem angemietetes Loft. Auf zwei mächtigen Ledercouches sitzen wir uns gegenüber, während Sven’s Hund auf seinem Schoß liegt und schnarcht.
Hallo Sven, was sind deine Aufgaben bei Havas Beebop?
Meine Aufgaben sind bunt gemischt. Einmal habe ich den Schwerpunkt Strategie und Konzeption. Fragt ein Kunde bei uns an, bin ich dafür zuständig, ein Konzept zu entwerfen und mir grundsätzlich Gedanken zu machen, wie die Kampagne aussehen soll. Und damit fühle ich mich auch am Wohlsten: Ich übersetze ein Kunden-Briefing so, dass ein Projektmanager, ein Entwickler oder Grafiker überhaupt etwas damit anfangen kann.
Mein zweiter Job ist der des Außenministers. Pedro und ich haben damals die Jobs untereinander aufgeteilt und gesagt: Pedro ist Innenminister und ich bin der Außenminister. Als solcher bin ich für Havas Beebop viel auf Events und Konferenzen als Speaker unterwegs und halte Ohren und Augen offen für neue Trends.
Wieviel Prozent deiner Arbeit ist Projektarbeit, wieviel Organisation und Außenminister sein?
Etwa 25 Prozent meiner Zeit verbringe ich als Außenminister, wobei das von Monat zu Monat schwankt. Ich würde das gerne mehr machen. Aber am Ende des Tages lässt die Zeit das einfach nicht zu. Drei Viertel der Zeit arbeite ich an den Kundenprojekten.
Das Havas-Netzwerk, dem wir kürzlich beigetreten sind, ermutigt uns als Geschäftsführer möglichst viel Kundenkontakt zu haben. Das kommt mir sehr entgegen. Ich finde es gut knietief in den Projekten zu stehen und nicht nur mit dem Helikopter mal drüber zu fliegen und bei der Pitch-Präsentation aufzutauchen. Ich finde es besser von Anfang an dabei zu sein.
Warum?
Weil ich da herkomme. Das muss ich ein bisschen erklären.
Ich komme vom platten Land zwischen Bremen und Bremerhaven, also übelstes Dorf. Damals habe ich mir das Internet reingezogen, weil ich das super spannend fand. Es brachte die große Welt in mein Jugendzimmer. Für meine Eltern war das Internet etwas Schlimmes, weil sie von Hackern gehört hatten und die Telefonrechnung ins unermessliche gestiegen war. Deswegen musste ich damals das LAN-Kabel vom Schlafzimmer meiner Eltern unter dem Teppich versteckt in mein Kinderzimmer ziehen, damit ich mein erstes Modem anschließen konnte.
Ich habe mir sukzessive die Sachen, die ich gebraucht habe, selber beigebracht. Beispielsweise wollte ich eine Webseite bauen. Also habe ich mir ein Buch von O’Reilly mit der Eule drauf gekauft und habe mir herausgeholt, was ich gebraucht habe. Da komme ich her, und das habe ich auch lange als Selbstständiger gemacht. Und darum will ich auch immer noch knietief bei den Projekten dabei sein.
Hast du eine Berufsausbildung?
Ich habe mal eine Pro-forma-Ausbildung als Mediengestalter gemacht.
Nach dem Abi?
Ich war – das nimmt mir keiner ab – nach der Schule lange Zeit bei der Bundeswehr. Mit 18 wusste ich nicht, was ich wollte. Dann bin ich halt zur Bundeswehr und habe acht Jahre bei der Luftwaffe gedient.
Da lernt man auch etwas.
Beim Bund lernt man zu jeder Zeit “weg zu knacken”. Da habe ich auch gelernt die Ohren auf Durchzug zu schalten. Der kalte Krieg war vorbei, und da gab es für uns eigentlich nichts mehr zu tun außer Raketen zu putzen.
Nach einer Weile merkte ich, dass ich jetzt ungefähr weiß, was ich will, und habe eine Ausbildung als Mediengestalter hinterhergeschoben. Ich kenne das nur so von zu Hause: Junge, du brauchst eine Ausbildung, damit du etwas wirst. Also habe ich die Ausbildung gemacht und bin nach Hamburg gezogen.
Beim Bund lernt man überall weg zu knacken, die Ohren auf Durchzug zu stellen und Raketen zu putzen.
Seit ich in Hamburg bin, wollte noch nie jemand von mir ein Zeugnis sehen. Das war das Geile. Ich bin hierhergekommen, und zu Hause war ich mit Blogs und Web 2.0 ein Paradiesvogel. Hier waren auf einmal sehr viel mehr Leute so wie ich. In Hamburg gab es eine richtig lebendige Szene, die sich auf BarCamps und Tweetups traf.
Wann war das?
2004.
Das war ein bisschen die Zeit des “Rise of Social Media”, oder?
Total. Und Web 2.0. Es gab so viele Web-2.0-Pioniere, die sich regelmäßig getroffen haben. Man konnte jeden Abend irgendwo in Hamburg umsonst Bier trinken und sich mit Leuten austauschen. Zu der Zeit habe ich mich bei der Internetplattform für Autoteil motoso.de um deren Blog gekümmert.
Irgendwann, als diese Web-2.0-Stimmung immer krasser wurde, habe ich mich als Berater selbstständig gemacht.
Es gab eine Zeit, da war das hip.
Ja, aber heute ist es mehr ein Schimpfwort. Damals gab es niemanden, den man zu Web-2.0-Themen ansprechen konnte. So viele Agenturen und Unternehmen wollten wissen, was das ist mit diesem Web 2.0 und wohin sich das entwickelt.
Das war damals für viele die beste Zeit mit gefährlichem Halbwissen durch die Gegend zu tingeln und Leute zu beraten.
Das war auch die Zeit, zu der ich Pedro kennen gelernt habe. Pedro hat für einen Kunden jemanden gesucht, und wir haben schnell gemerkt, dass wir auf einer Wellenlänge sind. Dann bin ich als fester Freier zu Beebop gekommen und wurde relativ schnell Teilhaber.
Beebop kommt historisch eher aus dieser Ambient-Ecke. Parallel dazu haben wir die Digitalagentur “beesocial” aufgebaut, die wir nach gut einem Jahr mit der beebop media AG gemergt haben. Wir haben vor ca 2 Jahren angefangen nach einem größeren Partner zu suchen, weil wir gemerkt haben, dass wir als Spezialanbieter für Ambient an unsere Grenzen stoßen und große Etats an uns vorbei gingen. Vor einem Jahr sind wir dann Havas beigetreten, einem weltweit agierendem, inhabergeführtem Network aus Marketing-, Media- und Kommunikationsagenturen. Seitdem sind Größe und Internationalität eigentlich kein Thema mehr. Heute sind wir eine Agentur, die eine Marke offline wie online inszenieren kann.
Was bedeutet Ambient?
Ambient bedeutet Werbung für eine Marke, die erst mal nicht aussieht wie eine Marke und da erscheint, wo du es nicht erwartest. Stell dir vor, der Bus bremst und du greifst nach einer Halteschlaufe, und die ist bedruckt mit der Message einer Versicherung.
Wie muss man sich die Entwicklung eines solchen Projekts bei Havas Beebop vorstellen?
Du bist ja bei uns durchgelaufen: Das ist ein Laden, den du sofort überblickst. Wir sitzen alle zusammen auf einer Fläche, keiner ist abgeschottet. Das kann in der Zusammenarbeit manchmal stressig sein, weil es ziemlich laut ist. Aber oftmals ist das ein Vorteil. Denkt unser Ambient-Mensch gerade über ein Projekt nach, dann bekommst du das in der Regel mit. Und wenn du eine gute Idee hast, kannst du direkt hingehen. Und so machen wir es auch, wenn ein Kunde bei uns anfragt. Wir stellen die Teams dann so zusammen, dass du immer eine Person aus der jeweiligen Disziplin dabei hast.
Lass uns diesen Prozess an einem Projekt durchsprechen.
Molinari Sambuca ist auf uns mit einer Idee von einer Kampagne zugekommen. Das Thema: Unsere Herzen brennen.
Wie haben die von euch mitbekommen?
Die meisten Kunden kommen zurzeit zu uns, weil sie von uns gehört haben. Wir sind jetzt nicht so die typische Werbeklitsche, sind nicht so gestriegelt. Meistens kommen die Leute zu uns, weil sie etwas haben wollen, was irgendwie anders ist.
Sambuca hatte die Idee von diesem Motto, mit dem sie Projekte von kleinen Freundes-Gruppen fördern wollten. Sambuca ist ein Getränk, mit dem man nach einem guten Essen mit den Freunden anstößt. Gemeinsame Anstoß-Momente sollten inszeniert werden. Das war die grobe Idee.
Wie läuft das bei euch, wenn so eine Kundenanfrage reinkommt. Gibt es ein Meeting?
Manchmal stehen wir in der Küche zusammen, manchmal hat einer gerade mit dem Kunden telefoniert, und dann gehst du zu dem Schreibtisch hin und sagst: Das ist doch geil, da könntest du doch eigentlich das und das machen. Manchmal ist es auch ganz klassisch ein Kick-off-Meeting, zu dem jemand einen Termin einstellt.
Diese Kick-offs sind auch ganz wichtig, denn oftmals haben Kunden gar nicht so eine richtige Idee davon, was sie brauchen oder machen wollen. Es gibt meist nur den initialen Gedanken, und daraus formen wir dann ein Paket, von dem wir überzeugt sind, dass es ein geiles Projekt wird.
Es ist unser Anspruch etwas zu machen, was uns stolz macht.
Manchmal liegen wir auch mit einem Projekt schief, und der Kunde zieht sich wieder zurück, denn er wollte eigentlich nur drei Facebook-Posts die Woche. Dann sagen aber auch wir manchmal, das es nicht passt.
Wie delegiert ihr die Arbeiten?
Bei Havas Beebop gibt es viel Eigen- und Selbstständigkeit. Wir haben zwar Strukturen, aber bei uns managt ein Projektmanager nicht nur Projekte. Sie können auch kreativ mitarbeiten, wenn ihnen das liegt. Kundenteams werden bei Bedarf verstärkt, die Teams holen sich Ideen von ihren Kollegen, die auf ganz anderen Kunden arbeiten.
Also kann jeder bei euch Projektmanager sein?
Das rekrutiert sich aus den Leuten, die grundsätzlich Projektmanagement als Schwerpunkt haben. Einige haben bei uns als Content-Manager angefangen und sind mittlerweile Projektmanager. Aber das ist auch das Schöne an unserer Arbeit: Dein Job kann drei Monate lang eine Aufgabe bedeuten und dann auch wieder was ganz anderes.
Aber dann gibt es halt auch einfach Leute, die in dem Bereich arbeiten, in dem sie gut sind. Martin beispielsweise hat einen sehr hohen Textanteil. Der würde jetzt nicht auf die Idee kommen plötzlich ein Projekt zu leiten.
Wie ging es beim Sambuca-Projekt weiter?
Nach dem Kick-off, zu dem die Auftraggeber da waren, um noch mal die Aufgabenstellung zu erklären, haben wir uns noch mal zurückgezogen, um aus dem feststehenden Claim “Unsere Herzen brennen” ein cooles Projekt aufzuziehen.
Der Plan bestand aus einem Offline-Event, mit dem wir geilen Content generieren konnten. Um den Content irgendwo hinzupacken, haben wir erst mal einen Content-Hub, eine Landing-Page gebaut, über die sich die ganze Kommunikation abspielen sollte. Wir haben dann eine Bewerbungsphase gestartet, in der sich Gruppen mit ihren Ideen bewerben sollten.
Aus den Einsendungen haben wir uns schließlich eine Gruppe junger Crossgolfer rausgesucht. Wir hatten richtig Bock nachts im Hafen eine Runde Cross-Golfing zu spielen und unsere Ziele, mit Pyrotechnik versehen, selber aufzubauen. Zusammen mit Till, einem total abgedrehten Schrauber, haben wir uns mit den Golfern hingesetzt und die Cross-Golfing-Ziele gebaut. Den Prozess haben wir filmisch begleitet, dadurch Content generiert und über die Landing-Page und Social Media verteilt.
So wurde daraus eine runde Sache. Denn wir haben Leute mit verrückten Visionen glücklich gemacht und uns selber Events kreiert, mit denen wir geilen Content erstellen konnten.
Wie fand der Kunde das?
Geil.
Was hat das dem Kunden letztendlich gebracht?
Da muss man immer nüchtern bleiben. Wir verändern mit einem Event ja nicht die komplette Markenwahrnehmung. Das schafft man erst mit einer Abfolge vieler Aktionen über Monate oder sogar Jahre.
Aber die Leute, die die Aktion gesehen haben, haben jetzt ein anderes Bild vor Augen, wenn sie im Laden Sambuca bestellen. Und natürlich messen wir auch die KPIs komplett durch, erstellen eine schöne Präsentation für den Vorstand, in der dann zum Beispiel steht, das wir mit der Aktion 5,8 Millionen auf Facebook erreicht haben. Zahlen gehören immer dazu.
Welche Tools nutzt ihr, um die KPIs zu messen?
Bei Snapchat müssen wir täglich hinterher sein und die KPIs abschreiben. Bei den anderen Netzwerken nutzen wir socialBench. Das ist ein Benchmarking-Tool eines Startups, das lange Zeit Untermieter von uns war und dass wir organisatorisch und inhaltlich supportet haben. SocialBench ist heute Teil von Facelift.
Du meinst hier in Hamburg, aus diesem Gebäude?
Der Nico, der das gebaut hat, saß erst bei uns. Dann hat er unten im Basement sein Büro gehabt. Jetzt sind sie an den Hafen gezogen.
Welche Tools habt ihr noch im Einsatz?
Das Dach bildet die Google Suite. Ich organisiere meinen Tag und meine Woche komplett über den Kalender und ich werde total fuchsig, wenn mir einer einen Termin reinhaut, der da nicht drinsteht.
Dann nutzen wir beispielsweise auch Toggl zum Tracken von Einzelschritten. Gerade bei handwerklichen Jobs ist das wichtig. Wir machen beispielsweise die komplette Content-Erstellung für alle Social-Media-Kanäle von Universal Home Entertainment. Da ist es super wichtig, dass man da die Zeit im Auge behält.
Außerdem nutzen wir noch Slack, sowohl als Projektmanagement-Tool als auch für die Teamkommunikation. Wir haben noch eine geschlossene Facebook-Gruppe, in der wir uns austauschen. Seit wir bei Havas sind, haben wir auch das Tool Brandocean für die Zeitdokumentation.
Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Themen und Trends der Branche?
Das wichtigste ist: Der große Social-Media-Hype ist vorbei. Ich kann mich an eine Zeit erinnern, wo die Leute jeden Schritt bei Facebook festgehalten haben und sogar auf mehreren Social-Media-Plattformen gleichzeitig aktiv waren. Die Leute sind aber sensibler geworden. Früher hat es keine Sau interessiert, wenn du was auf StudiVZ geschrieben hast.
Der große Social-Media-Hype ist vorbei.
Heute werden die Leute bei Facebook oder Google abgecheckt, bevor sie eingestellt werden. Oder sie werden mit irrelevanter Werbung bombardiert. Und das führt dazu, dass sich die Leute in geschlossene Netzwerke wie WhatsApp-Gruppen oder Snapchat zurückziehen. Das stellt uns vor tierische Herausforderungen. Es ist unser Job die Leute für Marken digital zu erreichen. Und das wird zunehmend schwieriger.
Was kann man da machen?
Red Bull hat es vorgemacht: Die schmeißen einen Typen aus dem All. Man muss eine Marke so inszenieren, dass die Leute sich damit auseinandersetzen, nicht, weil sie zehnmal mit der Message penetriert werden, sondern weil sie darauf Bock haben. Darum kommst du an Offline nicht mehr vorbei. Die Wertschätzung ist viel höher, wenn du regional und kontextbezogen angesprochen wirst.
Manchmal ist Digital nur der Wurmfortsatz der großen Kampagne. Die ideale Kampagne ist aber so gestrickt, dass schon die Idee so gebaut ist, dass sie analog und digital funktioniert. Das ist die hohe Kunst.
Wie ist es mit dir in einem Projekt zusammenzuarbeiten?
Wenn wir ein Projekt zusammen machen, dann kannst du sicher sein, dass ich alles dafür tue, damit daraus etwas Rundes wird. Wenn du mich machen lässt, dann haue ich da richtig einen raus. Da kann es schon mal sein, das ich die Ellenbogen ausfahre. Das spielen mir meine Kollegen auch immer zurück. Ich bilde mir aber ein, dass ich da auch schon viel besser geworden bin. Ich bin halt ein Macher, laufe gern vorweg. Manchmal muss ich mich da etwas einbremsen.
Gibt es etwas in deiner Vergangenheit, das du gerne rückgängig machen würdest?
Ich bin schon froh, das ich den Autodidaktenweg gegangen bin. Dadurch bekommt man eine andere Denke. Manchmal wünschte ich mir aber, meine Eltern hätten mich mehr genervt, damit ich in der Schule besser aufpasse, um dann zu studieren. Denn mittlerweile sehe ich schon einen großen Unterschied in der Einflughöhe.
Wovor hast du am meisten Angst?
Bei mir sitzt noch immer diese elterliche Prägung aus dem platten Niedersachsenland im Nacken, die dir sagt: Junge, du brauchst einen ordentlichen Job, du musst sparen, für das Alter vorsorgen. Du wirst da hin getrimmt, dass du mit 20 heiratest, mit 25 dich über beide Ohren verschuldest, damit du eine Doppelhaushälfte im Neubaugebiet beziehen kannst.
Meine Mutti hat bis heute nicht verstanden, was ich eigentlich arbeite.
Sie kann dann ja das Interview lesen. Ich versuche es so zu formulieren, das deine Mutti das versteht.
Zu Weihnachten kommt irgendwann die Stelle, wo sie mir ein Post-it gibt und sagt: Schreib doch noch mal auf, was du arbeitest. Ich habe mit den Landfrauen geschnackt und konnte denen gar nicht sagen, was du arbeitest. Ich sage immer nur “irgendwas mit Internet”.
Was inspiriert dich?
Mich inspirieren Freigeister, Leute, die einen Scheiß auf Konventionen geben. Ich gehe nicht kompromisslos meinen Weg, sondern versuche Kompromisse zu finden. Aber im Sommer fahren meine Freunde und ich gerne auf Elektro-Festivals. Freunde, die bewusst nicht aus dem Digital-Umfeld kommen, sondern andere Leute, die einen erden. Dann fahren wir mit dem Van zum schönsten Festival direkt an die Mecklenburgische Seenplatte, dem 3000Grad Festival in Feldberg. Das ist ein Naturschutzgebiet und da ist dann fünf Tage lang Rave angesagt. Mitten im Wald wird auf einmal eine Zauberwelt aufgebaut, die komplett ungebrandet ist von Marken.
Als ich das erste Mal da war, habe ich mich gefragt: Warum bist du so entspannt? Warum finde ich es hier so geil? Dann habe ich gemerkt, dass hier kein einziges Werbeschild rumhängt. Selbst die Fressbuden sind selbst organisiert. Die Leute sehen aus wie aus dem Altkleidercontainer, und sie sind füreinander da und passen aufeinander auf. Das ist ein alternatives Lebensmodell, das ich für ein paar Tage aufsauge. Zu sehen, das es Leute gibt, die abseits von unseren monetären Werten und Normen leben, finde ich extrem inspirierend.
Gibt es Bücher oder Blogs, die du empfehlen kannst?
Blogs lese ich so gut wie gar nicht mehr, weil mir da zu wenig dabei ist, wo ich denke, das müsste man lesen. Was ich aber mit großer Freude lese ist die t3n. Die Branchenblätter, die eigentlich für das Digitale da sind wie Horizont oder W&V, drehen sich für meinen Geschmack zu sehr um den Agenturzirkus.
Ein Buch, das ich kürzlich gelesen habe, kommt vom ehemaligen Vorstand von fischerAppelt Frank Behrendt. Liest sich ein bisschen, als ob er zu viele esotherische Öle eingeatmet hat. Aber es steckt viel Wahres darin. In seinem Buch “Lebe dein Leben und nicht deinen Job” vermittelt er eine unaufgeregte Haltung zum Agenturzirkus. Er relativiert das. Wir heilen keinen Krebs, sagt er, sondern wir machen hoffentliche nur gute Werbung.
Gibt es eine Frage, die ich noch vergessen habe?
Ich glaube nicht, wir haben über den ganzen Agenturkram gesprochen und meinen persönlichen Werdegang. Und wir haben auch viel über Privates gesprochen.
Wobei ich dich noch nicht auf deine Tattoos angesprochen habe.
Genau. Vielleicht wäre das noch eine Frage: Gibt es ein Tattoo, was du nicht jedem zeigen würdest? Pedro und ich haben, als wir im Februar die Agentur verkauft haben, gesagt, dass wir noch mal etwas Geiles machen müssen. Ich meine, das sind jetzt acht Jahre, in denen wir uns echt den Rücken krumm gebuckelt haben. Was haben wir gemacht? Wir haben uns beide das Beebop-Logo auf den Arsch tätowieren lassen.
Ernsthaft?
Ja, Davon gibt es auch ein Video, wie wir beide synchron beim Tätowierer auf der Bank liegen, und er uns den Hintern tätowiert. Wir haben es beide auf der rechten Arschbacke.
Lieber Sven, vielen Dank für das Interview!
Webseite: Havas Beebop
Dieses Interview wurde am 29. November 2016 in den Räumlichkeiten von Havas Beebop in Hamburg geführt.