Itamar Gilad, Ex-Google- und Microsoft-PM, über transparente Product-Roadmaps mithilfe des GIST-Frameworks
05. April 2023Das GIST-Framework ist eine Entwicklung von Itamar Gilad, der sich als Product Management Coach, Autor und Redner auf das Produktmanagement und die Produktstrategie spezialisiert hat. Mit jahrzehntelanger Arbeit in führenden Produktmanagement-Positionen bei Microsoft und Google, wo er zum Beispiel für das Gmail-Wachstumsteam verantwortlich war, ist er ein absoluter Experte auf diesem Gebiet. Auf dem Digitale Leute Summit 2022 stellt er das Framework und die passenden Tools vor.
- In diesem Text lernt ihr
- Warum klassische Roadmaps im Produktmanagement scheitern
- Warum der Leistungsnachweis wichtig ist
- Wie Ziele definiert sein sollten
- Wie sich Ideen entwickeln
- Wie die Schritte organisiert werden
- Welche Aufgaben es gibt
Warum klassische Roadmaps im Produktmanagement scheitern
Auch heute noch wird im Produktmanagement mit Roadmaps gearbeitet, obwohl sich die Umgebung – Stichwort: andere Auslieferungswege und agiles Arbeiten – grundlegend geändert hat. In der Roadmap werden bestimmte Features nach einer Diskussion priorisiert und realisiert.
Das Problem dabei: Schon die Priorisierung ist kein einfaches, sondern ein komplexes Problem. Zudem gibt es keine klare Zielvorgabe, die Wege und das Ziel sind verschwommen (ambigious). Denn es gibt manchmal zu wenige Informationen und manchmal auch zu viele Informationen, um eine klare Priorisierung festlegen zu können. Erschwert wird eine solche Priorisierung durch den enormen Zeitdruck, unter dem Unternehmen stehen.
Eine Erkenntnis aus der Wissenschaft ist aber: Mit solchen Rahmenbedingungen kann ein Mensch nur schwer Entscheidungen treffen bzw. die Entscheidungen, die er oder sie trifft, sind im Zweifel falsch oder nicht die besten. Und daraus ergibt sich ein systemisches Problem einer Roadmap:
- Ineffektiv: Die einmal geplanten Schritte werden kaum oder gar nicht eingehalten; der Zeitplan ist also ineffektiv.
- Schlechte Ergebnisse: Es ist schwer, gute Ergebnisse zu erzielen. Und dabei spielt es auch keine Rolle, ob dafür in einigen Bereichen agile Methoden angewandt werden oder nicht.
Warum der Leistungsnachweis wichtig ist
Eine weitere Erkenntnis: Wenn etwas nachgewiesen werden kann, dann ist das für das menschliche Gehirn besser zu verarbeiten. Es ist deshalb kein Wunder, dass bestimmte Bereiche – wie etwa die Wissenschaften – stark auf konkrete Leistungsnachweise/Beweise setzen. Es wird hier nicht alleine dem menschlichen Urteilsvermögen vertraut.
Das GIST-Framework hilft dabei, eine solche nachweisorientierte Entwicklung zu etablieren. Es ist in vier Bereiche aufgeteilt:
- Goals/Ziele
- Ideas/Ideen
- Steps/Schritte
- Tasks/Aufgaben
Innerhalb dieser Bereiche können sehr unterschiedliche Werkzeuge angewendet werden.
Wie Ziele definiert sein sollten
Ziele definieren, wohin der Weg gehen soll. Umsatz, Marktanteile oder Kundenzahl sind in diesem Sinne keine echten Ziele. Genauso wenig hilft es aber auch, sehr kleinteilig über sehr viele Metriken einzelne Schritte als Ziele festzulegen.
Im Gegensatz dazu nutzen nachweisorientierte Unternehmen Modelle, die einen Zusammenhang zwischen dem Erfassen und der Auslieferung von Werten zwischen dem Unternehmen und dem Markt mithilfe des Produkts bieten. Eines dieser Modelle ist zum Beispiel das Tool „The Core Mission“. Neben vielen anderen Messverfahren, hilft hier zum Beispiel die „North Star Metric“ dabei, den Wert zu messen, dem ein Produkt dem Markt geben kann.
Wie sich Ideen entwickeln
Das Problem mit Ideen ist, dass sehr viele davon am Ende nicht funktionieren. Ron Kohavi fand heraus, dass ein Großteil aller Ideen zum Scheitern verurteilt sind. Seine Erfahrung: Zwischen 92 Prozent (bei Airbnb) und bis zu 67 Prozent (bei Microsoft) beträgt die Ausfallrate. Die Konsequenz nach Linus Pauling ist, dass man viele gute Ideen haben muss. Denn am Ende werden sich viele davon dennoch als falsch herausstellen. Es hilft aber dabei, zu lernen, welche Ideen verworfen werden sollten.
Mit der Idea Engine existiert ein Tool, das unternehmerische Ziele mit möglichst vielen guten Ideen in Verbindung bringt. Durch verschiedene Prozessstufen werden diese vielen guten Ideen immer weniger, etwa, wenn sie nach der ersten Auswertung zunächst geparkt werden oder nach einer genaueren Überprüfung reduziert werden. Nur sehr wenige dieser ursprünglich vielen Ideen werden am Ende entwickelt und noch viel weniger dann auf den Markt gebracht.
Eine von vielen Möglichkeiten, um Ideen zu beurteilen, ist das ICE Scoring (https://www.impulse.de/strategie/ice-score/7611172.html). Hier wird der Einfluss, die Realisierungszuversichtlichkeit und die Einfachheit der Idee beurteilt und daraus dann ein Score entwickelt. Die Bewertung ist nicht statisch, sondern hängt davon ab, welcher Faktor in einem bestimmten Kontext besonders wichtig ist. Es werden folgende Fragen beantwortet:
- Einfluss (Impact): Wie erfolgreich wird die umgesetzte Idee sein?
- Einfachheit (Ease): Wie lange dauert die Umsetzung und wie aufwändig ist sie?
- Realisierungszuversicht (Confidence): Wie sicher bist du, dass der erwartete Einfluss und die Einfachheit tatsächlich realistisch sind? Um diese Frage beantworten zu können, muss auf Leistungsbeweise gesetzt werden.
Und dazu dient als ein mögliches Tool der Confidence Meter. Es bewertet unterschiedliche Informationen mit Punkten. So sind zum Beispiel einfache Meinungsäußerungen – die Presse denkt, dass es eine gute Idee ist -, sehr unsichere Faktoren mit wenigen Punkten, wohingegen die konkreten Leistungen durch Nutzer oder auch reale Testergebnisse nach einem Launch einen sehr hohen Status haben.
Wie die Schritte organisiert werden
Der übliche Prozess ist es, eine Idee in einem Projekt bis zum Launch zu entwickeln und dann zu schauen, was passiert. Häufig passieren dann zwei Dinge: Die Auslieferung dauert wesentlich länger, als geplant. Und man verwendet zu viel Zeit auch für die schlechten Ideen.
Viel besser ist es, einen Lernprozess aufzusetzen, bei dem zum Beispiel mithilfe von User Studies, MVP und Experimenten geschaut wird, ob die Idee so, anders oder gar nicht umgesetzt werden sollte. Die Idee, mit der dann am Ende tatsächlich an den Markt gegangen wird, ist nach diesem nicht-linearen Prozess viel besser als die Ursprungsidee.
In jedem dieser Schritte gibt es eine Vielzahl an Tools, mit denen gearbeitet werden kann.
Welche Aufgaben es gibt
Nun wird im letzten Schritt die konkrete Arbeit organisiert. Im klassischen Produktmanagement sind die Planungs- und die Entwicklungsebene stark getrennt, auch bei agilen Methoden. Die Personen, die sich um die Planung kümmern – etwa aus dem Management, dem Vertrieb oder die Finanzen – arbeiten völlig anders als die umsetzende Ebene etwa aus Entwicklern und UX-Designern.
Diese Trennung kann nur aufgebrochen werden, wenn auch das Entwicklungsteam auf allen Ebenen der Produktentwicklung eingebunden wird. Das kann zum Beispiel über ein GIST-Board realisiert werden. Die regelmäßige Diskussion dieses Boards generiert sehr viel wichtigen Kontext.
Ziel ist es, die Rollenverteilung zwischen Planung und Entwicklung aufzubrechen und bei allen Beteiligten ein Gefühl der gegenseitigen Unterstützung für die Arbeit zu entwickeln.
→ Hier findest du die komplette Aufzeichnung seines Talks
Über Itamar Gilad: Itamar Gilad ist als Coach, Autor und Redner spezialisiert auf das Produktmanagement und und die Produktstrategie. Er weist über zwei Jahrzehnte Erfahrungen in leitenden Produktmanagement- und Technikpositionen, etwa bei Google, Microsoft und einer Reihe von Start-ups. So verantwortete er zum Beispiel bei Google Teile von Gmail und des Gmail-Wachstumsteams. Itamar veröffentlicht einen Produktmanagement-Newsletter und ist der Schöpfer einer Reihe von Produktmanagement-Methoden, darunter das GIST Framework und The Confidence Meter.
Auf dem Digitale Leute Summit 2022 beschrieb Itamar Gilad das GIST-Framework und seinen Einsatz in der Produktentwicklung.
Autor: Jörg Stroisch